Das Thema Abrodung des Regenwaldes für Palmöl und dessen Verwendung in Kosmetika, Lebensmitteln und im Biodiesel hat uns beide und manchen Leser doch etwas mehr beschäftigt. Deshalb haben wir bei Miss Biggi, einer Fachfrau in deren Adern ökologisches Blut fließt und deren Herz ausschließlich biologisch schlägt nachgefragt und sie gebeten, einen Gastbeitrag für uns zu schreiben. Brigitte haben wir in Neuseeland beim Wandern kennen gelernt. Sie hat Landwirtschaft studiert und arbeitet als selbständige Bio-Beraterin.
Wir sagen: Vielen Dank für deine Unterstütung Brigitte und uns allen viel Spaß beim „Ölen der Gehirnwindungen“.

Foto: Regenwald in Bolivien
Die letzte Ölung oder: Sind wir noch zu retten?
Machen wir doch zu Anfang gleich einmal alle Hoffnungen zunichte: Palmöl ist überall drin. Nicht nur im Biodiesel. Nicht nur in Kosmetika. Es ist das Fett, auf dem alles Gebratene in den asiatischen Ländern daherschwimmt. Es ist das Fett, bekannt bei uns als Palmin und unbekannterweise bei uns als Pflanzenfett überall drin. In Chips, in Tütensuppen, in Schokoriegeln, in Eis, in Aufstrichen – und zwar egal, ob die Produkte als no name, als bekannte Marke oder als Bio-Variante daherkommen. Überall. Auch in Nutella. Auch in Samba (für die Nicht-Ökos: Das ist die Nutella-Biovariante).
Es gibt kein Entrinnen!
Zahlen besagen, dass 90% der Palmölproduktion für Nahrungsmittel verwendet werden und nur 5% für Biotreibstoffe. Wir tanken nicht den Urwald, wir essen ihn. Aber lasst mich noch etwas mehr Palmöl ins Feuer gießen: Das Gleiche gilt ja auch für Soja, für Kaffee, für Bananen. Also: Alle Fleischesser, alle Kaffeetrinker, alle veganen Brotaufstrichesser, was wollt ihr tun? Ich kenne nur einige seltene regionale Rohköstler, die es schaffen, politisch korrekt zu essen und die nur Fahrrad fahren. Diese Menschen gibt es, und sie haben meine volle Hochachtung. Aber was sollen wir Normalos tun?
Jetzt gibt es da eine Weiße Liste Palmöl. Dort sind Unternehmen gelistet, die zum Beispiel auf den Einsatz von Palmöl ganz verzichten. Sie haben dann ein grünes Häkchen dran: Könnt Ihr kaufen, wenn Ihr Orang Utans liebt. Das ist großartig. Aber doch wieder zu kurz gedacht. Denn was soll ich tun, wenn ich außer Orang Utans auch noch die Schmetterlinge Brasiliens oder ganz schnöde die deutschen dicken Rindviecher liebe? Es tut mir als alter Ökotante in der Seele weh, auf dieser Weißen Liste konventionelle Wurstfabrikanten zu sehen. Gut, in deren Rostbratwurst ist kein Palmfett. Aber war in der Kuh, die in der Wurst ist, vielleicht ein Futtermittel, in dem Palmölpresskuchen war? Und gut, im grün abgehakten konventionellen Joghurt ist kein Palmfett, so widersinnig produziert nun wirklich keiner. Aber dafür sind die Milchkühe des von der Weißen Liste empfohlenen Orang-Utan-freien Joghurts mit gentechnisch verändertem Soja aus Brasilien gefüttert – also all die Tiere drin, die sie dort zusammen mit dem Amazonasregenwald gerodet haben. Wir tappen quasi von einem Fettnäpfchen ins nächste? Kann ich mich beim Kauf immer nur entscheiden, wen ich gerade ausrotten will?




Kann man das tote Krokodil erkennen?
Nun, nur weil etwas nicht so einfach ist, nützt es ja auch nichts, aufgrund von Resignation oder Überforderung in die Tatenlosigkeit zu verfallen. Dann hätte die Welt ja weit mehr verloren als den Urwald und die Orang Utans. Ölen wir also unsere Gehirnwindungen und schauen einmal genauer.
Das EU-Bio-Siegel schließt die Rodung von Urwald nicht aus. Das heißt nicht, dass das Ganze EU-Bio-Palmöl auf gerodeten Urwaldflächen wächst, aber es ist nicht ausgeschlossen. Bei Naturland ist die Rodung von Primärurwald ausgeschlossen. Bei Demeter ist die Rodung von Urwald ausgeschlossen. Bioland hat keine Projekte im fernen Ausland und Importfuttermittel aus ‚Dritte-Welt-Ländern‘ sind ausgeschlossen.
Das heißt klipp und klar und ganz einfach: Wenn Ihr Bioprodukte kauft, die mit diesen Verbandslogos ausgezeichnet sind, dann sind die nicht auf frisch gerodetem Urwald gewachsen. Und das ist doch schon einmal viel, verglichen zum Rest der Welt.
Jetzt ist das aber immer noch nicht die ganze Wahrheit.
Was ist, wenn eine Biofirma hier bei uns zum Beispiel mit einer Firma in Kolumbien zusammenarbeitet, diese Firma in Kolumbien aber außer einem vorbildlichen Bio-Palmöl-Projekt auch noch über eine Tochtergesellschaft verfügt, die plötzlich woanders Regenwald rodet und die Menschen dort vertreibt? So geschehen der Firma Rapunzel mit ihrer Partnerfirma Daabon.
Man kann also doch nur alles falsch machen? Aber mit so einer Haltung wären wir wieder mal auf der gedanklichen Ölspur ausgerutscht. Die Schlussfolgerung heißt nicht: Wir kaufen kein Samba mehr. Nein! Wir haben bislang zu wenig Samba gekauft! Denn sonst wäre das nächste Projekt ja auch wieder Bio geworden. Wir hätten das konventionelle Palmöl gar nicht gebraucht. Wir dürfen nicht dem Paradoxon aufsitzen, nur, weil hier nicht alles perfekt ist, dort zu kaufen, wo alles nicht perfekt ist. So wie Rapunzel, die jetzt mit Daabon verhandeln und entweder die Lage klärt sich oder Rapunzel baut eine neues Palmölprojekt auf. Wichtiger als perfekt zu sein, ist vielleicht, sich auf dem Weg dahin zu befinden?
Denn dann können wir plötzlich alle mitmachen, gell. Und die Aussage: Wir können ja ohnehin nichts tun, stellt sich als verbrämte Rechtfertigung der eigenen Faulheit heraus. Und die sei uns auch zugestanden. Aber so ein bisschen, manchmal was machen, das wär‘ schon gut. Und so ist für uns alle, egal wo wir stehen, der nächste Schritt der Beste.
Vor diesem Hintergrund gibt es plötzlich lauter gute Möglichkeiten:
Kategorie 1: Für die Hardliner unter den neoliberalen Kapitalisten: Nur RSPO-zertifiziertes Palmöl kaufen (soll eine ’nachhaltige‘ Produktion garantieren)
Kategorie 2: Für Otto-Aldi-Normalverbraucher: Mal was von der weißen Liste kaufen oder mal ein Bioprodukt kaufen
Kategorie 3: Für die Ökotanten: Auf Verbandsbioware umsteigen (Bioland, Naturland, Demeter)
Kategorie 10: Für die Perfektionisten: regional und saisonal ökologisch einkaufen und kein Schokoaufstrich mehr
Für alle: politische Unterstützung eines Moratoriums für Urwaldrodungen.
Wo Ihr Euch einordnen wollt, entscheidet Ihr selbst. Mischformen sind zugelassen. Alles geht in die richtige Richtung – Hauptsache, Ihr geht nicht rückwärts.
Und weil es auch um politische Rahmenbedingungen geht, an denen wir beim Einkaufen kaum etwas ändern können, gibt es einen Weltagrarbericht.
„Wir kennen die Herausforderungen, wir kennen die Lösungen, wir haben die Mittel. Worauf also warten wir?“ – Wer hier ein bisschen Interesse verspürt, kann das im Weltagrarbericht nachlesen – http://www.weltagrarbericht.de – eines der aus meiner bescheidenen Sicht wichtigsten und wesentlichsten Dokumente, die je verfasst wurden (Deutschland hat übrigens nicht unterzeichnet). Auf der Site gibt es auch viele tolle Vorschläge, was wir noch alles so tun können.
Und wenn es dann passiert, dass sich die Stuttgarter Verkehrsbetriebe, die endlich und stolz von Erdöl umgestellt haben auf Biodiesel, sich etlichen als Affen verkleideten Demonstranten gegenüber sehen, können wir lachen. Denn es ist ja nicht unwahr. Aber schief. Denn Tiefsee-Ölbohrungen sind neuerdings ja nicht wirklich besser als Urwaldrodungen. Und wir brauchen Alternativen zum Erdöl. Jedenfalls wir, die wir Auto fahren und nicht nur radeln.
Während wir und die Welt auf die Rettung durch den Weltagrarbericht warten, könnten wir unterdessen schon einmal zusammen weiterkommen und 1. als Zivilgesellschaft der Welt zusammenwachsen und 2. anders teilen lernen. Ist das nicht eine tolle Aufgabe? Auf Reisen kann man schon mal anfangen damit. Und für die Daheimgebliebenen: Hauptsache bei uns liegt der Affe nicht im Einkaufskorb.
Das wollte schon immer mal gesagt haben:
Miss Biggy
die Bio-Beraterin
Kraftstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen (d.h. aus Pflanzen)
Pflanzenölkraftstoff
Unbehandeltes oder raffiniertes Pflanzenöl
Grundstoff in Deutschland: in der Regel Raps
Biodiesel
Fettsäuremethylester
Grundstoff in Deutschland: in der Regel Raps
(auch möglich: Sonnenblumen, Soja, Palmöl, Tierfette)
Bioethanol
hergestellt durch Vergärung und Destillation
Grundstoffe in Deutschland: in der Regel Getreide, Mais, Zuckerrübe
Biomethan
hergestellt aus dem Vorprodukt Biogas
Grundstoffe für die Erzeugung von Biogas in Deutschland: Getreide, Mais, Gülle, Abfälle aus der Lebensmittelherstellung
Biodiesel darf übrigens Biodiesel heißen, weil der Begriff „Bio“ für Lebensmittel zwar geschützt ist, aber nicht für Treibstoffe. Biokraftstoffe heißen so, weil sie aus Pflanzen (Bios = griechisch, das Lebendige) bestehen. Die Pflanzen selber müssen nicht biologisch angebaut sein.